
Am Ende konnten alle darüber lachen: Luciano Spalletti (64), der endlich wieder das Lenkrad seines geliebten Fiat Panda in den Händen halten durfte. Die umstehenden Vereinsfunktionäre, die einen ziemlich peinlichen Vorfall aus der Vergangenheit abhaken konnten. Die Journalisten, die eine wunderbare Story bekamen. Und sogar die gesichtsvermummten Vertreter von Napolis Ultraszene, die dem scheidenden Meistertrainer neben dem Lenkrad auch noch einen Stapel offensichtlich gebrauchter Musik-CDs übergeben hatten. Durch die Sehschlitze ihrer Sturmhauben ließen die beiden Kleiderschränke aus der Kurve durchaus fröhliche Mienen erahnen.
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Es war das letzte Kapitel einer komplexen Geschichte über vorschnelle Urteile und (zu) spät erwiesenen Respekt: Im Frühsommer 2021 war Luciano Spalletti in seinem verstaubten Panda nach Neapel aufgebrochen, um dem Klub am Fuße des Vesuv die lange ersehnte dritte Meisterschaft nach 1987 und 1990 zu schenken: Als der Mann aus der Toskana fröhlich vorfuhr, die Seitenfenster heruntergekurbelt, die Charakterglatze frisch rasiert und vor Schweiß glänzend, die Sonnenbrille komplett verspiegelt, wurde er von der Ultraszene des früheren Maradona-Klubs skeptisch beäugt. Lediglich zwei italienischen Pokalsiege mit der AS Roma (2007 und 2008) sowie ein paar Titel in der russischen Liga hatte der Trainer-Routinier bis dato gewonnen. Und seine erste Saison mit Napoli schien die Zweifler zu bestätigen: ansehnlicher Fußball, ja. Aber große Titel?
Der Panda in den Händen der Ultras
Nachdem die Himmelblauen die sicher geglaubte Meisterschaft 2022 im letzten Saisondrittel noch verspielt hatten, war der Panda von Luciano Spalletti vor dem Fenster seines Hotelzimmers im „Brittanique“ geklaut worden – von Vertretern der Ultraszene, wie sich bald herausstellen sollte. Die berühmt-berüchtigte Curva B, wo traditionell die Härtesten der Harten stehen, war unzufrieden mit Spalletti. Die Fanszene haderte mit dessen Spielidee, mit den durchaus eigenwilligen Mannschaftsaufstellungen und auch mit Spallettis schrulliger Außendarstellung. Wichtige Entscheidungen fälle er am liebsten auf dem elterlichen Bauernhof in der Toskana, erklärte der frühere Mittelfeldspieler einmal: „In der Stille von Rimessa finde ich Lösungen. Wie ein Mönch in einem Kloster bin ich dann allein und berühre die Tiefen meiner Seele.“
Den Ultras der SSC Neapel war dieser Typ zu esoterisch. „Den Panda geben wir dir zurück – wenn du abhaust“, kündete kurz nach dem Verschwinden des Autos ein handbeschriebenes Plakat am Vereinsgelände. Die Fronten waren verhärtet. Spalletti aber blieb in Süditalien, denn er war von seinen Methoden und von seiner Mannschaft überzeugt. Er spürte, nein: Er wusste geradezu, dass Napoli nur noch ein paar gezielte Toptransfers vom Scudetto entfernt war. Und er machte sich an die Arbeit.
Die Kritik war verstummt aber nicht vergessen
Im vergangenen Sommer holte der Verein den südkoreanischen Panzerschrank Min-jae Kim von Fenerbahce für die Innenverteidigung und den georgischen Aktionskünstler Kvicha Kvaratshkelia von einem Klub namens Dinamo Batumi. Fertig war das Meister-Ensemble. Napolis Vorsprung auf den Vize Lazio betrug am Saisonende sage und schreibe 16 Punkte. Und die teils wahnwitzige Kritik am Trainer war längst verstummt – aber nicht vergessen. Spalletti hatte es seinen Gegnern gezeigt. Und wollte danach nur noch weg. Ein Sabbatical einlegen, gegen die Erschöpfung, wie er behauptete. Innerlich war er vor allem enttäuscht – von Klubpräsident Aurelio de Laurentiis, der ihn lediglich per Email über das Ziehen einer vereinsseitigen Option auf Vertragsverlängerung informiert hatte, und von der himmelblauen Fanszene, die ihm so lange die Liebe vorenthalten hatte.
Immerhin: Wenige Wochen nach dem Gewinn der Meisterschaft hielten die Ultras Wort und überreichten Luciano Spalletti symbolisch das Lenkrand des gestohlenen Fahrzeugs sowie die CDs, die sie damals im Handschuhfach vorgefunden hatten. Den Rest des Autos, so versicherten sie, würde Spalletti später wohlbehalten zurückbekommen. Der scheidende Trainer bedankte sich mit einem breiten Grinser und hielt das Steuer professionell in die anwesenden Kameras.
„Ich habe eine Obsession“, hatte Luciano Spalletti im Laufe der vergangenen Saison mehrfach erklärt: „Ich will Neapel glücklich machen.“ Nun wird er die siegestrunkene Stadt verlassen. So, wie er vor zwei Jahren gekommen war: in seinem Panda, mit geöffneten Seitenfenstern, glänzender Glatze und verspiegelten Brillengläsern. Und die neapolitanischen Ultras werden möglicherweise darüber sinnieren, ob es klug war, einen solchen Ausnahmetrainer so frühzeitig zu verdammen.
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