Big Brother - Chelseas Didier Drogba im Portrait 11FREUNDE

November 2024 · 7 minute read

Wer dabei war, wird es nie ver­gessen. Wie Chelsea-Stürmer Didier Drogba im Vier­tel­fi­nale der Cham­pions League 2004/05 den FC Bayern Mün­chen nie­der­tram­pelte wie eine wild­ge­wor­dene Herde Was­ser­büffel das Gras auf der Steppe. Irgend­wann hörten die Jour­na­listen auf der Tri­büne auf zu zählen, wie häufig der Mann von der Elfen­bein­küste Zwei­kämpfe und Kopf­ball­du­elle für sich ent­schied. Dafür hätten die Spick­zettel auch ein­fach nicht mehr aus­ge­reicht. Der 27-jäh­rige Drogba war so domi­nant, so stark, so unglaub­lich prä­sent auf dem Platz, dass man nach 90 Minuten gar nicht glauben wollte, dass auch noch andere Fuß­baller auf dem Platz gestanden hatten. Chelsea gewann damals mit 4:2, der 3:2‑Erfolg der Bayern im Rück­spiel reichte nicht mehr. Der FC Didier Drogba hatte den FC Bayern Mün­chen im Allein­gang aus der Cham­pions League geworfen.

Sieben Jahre sind seit jenem denk­wür­digen Auf­tritt im Vier­tel­fi­nale ver­gangen. Drogba ist inzwi­schen 34 Jahre alt, den Zenit seiner Schaf­fens­kraft als Fuß­baller hat er wahr­schein­lich schon über­schritten. Das Cham­pions-League-Finale am Samstag wird aller Vor­aus­sicht nach Drogbas letzte Mög­lich­keit sein, den wich­tigsten Ver­eins­pokal der Welt in die Höhe zu stemmen. Viel­leicht wird er nach dieser Saison den FC Chelsea sogar ver­lassen. Angeb­lich plant Groß­fi­nan­zier Roman Abra­mo­witsch den Umbruch – ohne den geal­terten Angreifer. In seinen 23 Pre­mier-League-Auf­tritten in der abge­lau­fenen Saison hat Drogba gerade einmal fünf Tore geschossen.

Seiner Aura auf dem Spiel­feld hat die Flaute auf dem Spiel­feld nicht geschadet. Noch immer wirkt er jedes Mal etwas größer, stärker, schneller und besser, als es die nackten Sta­tis­tiken viel­leicht ver­muten lassen. Wenn ich mir einen Men­schen aus­su­chen müsste, mit dem ich in den Krieg ziehe“, hat der Wort­akrobat und ehe­ma­lige Drogba-Trainer José Mour­inho mal gesagt, dann wäre es Didier Drogba.“ Der Stürmer von der Elfen­bein­küste hat das Auf­treten und den Elan eines gebo­renen Anfüh­rers. Didier ist wie ein Baum­stamm, durch ihn leben die Äste“, hat das Zeit-Magazin“ Drogbas Onkel und För­derer in Jugend­jahren, Michel Goba, 2010 zitiert. Herr Goba meinte damals zwar etwas anderes, näm­lich die finan­zi­elle Abhän­gig­keit einer ganzen Hun­dert­schaft von Fami­li­en­an­ge­hö­rigen, Freunden und Bekannten, aber es passt ganz wun­derbar zu Drogbas ver­steckten Fähig­keiten. Es ist wie früher in der C‑Jugend mit dem Spiel­ma­cher, der irgendwie immer alles richtig machte: Wenn nichts mehr geht, gib den Ball zu Didier! Er wird das Kind schon schau­keln. Der ist 1,90 Meter groß und wiegt 95 Kilo!“, staunte Bay­erns Owen Har­gre­aves nach der Nie­der­lage im Vier­tel­fi­nale 2005 über seinen Gegen­spieler. Har­gre­aves hatte Drogba kur­zer­hand zwei Zen­ti­meter und elf Kilo schwerer gemacht.

Es sind nicht nur die sport­li­chen Qua­li­täten, die Drogba zu einer Füh­rungs­per­sön­lich­keit auf dem Platz gemacht haben. Es ist sein Weg von den stau­bigen Asche­plätzen seiner Hei­mat­stadt Abi­djan über die tristen Dorf­plätze der fran­zö­si­schen Pro­vinz bis zur Stam­ford Bridge. Es ist sein Dasein als viel­leicht wich­tigster Sportler Afrikas. Es ist sein Leben.

Am 11. März 1978 als ältester Sohn einer wohl­ha­benden Banker-Familie geboren, wurde Drogba im Alter von nur fünf Jahren nach Frank­reich, in die Nähe von Paris, zu seinem Onkel Michel Goba geschickt. Goba, selbst Fuß­baller, sollte sich um die Erzie­hung des talen­tierten Jungen küm­mern. Nach drei Jahren hielt es Drogba vor Heimweh nicht mehr aus, der Onkel schickte den Jungen zurück an die Elfen­bein­küste. Wie­derum drei Jahre später, 1989, star­tete die Familie einen neuen Ver­such, diesmal blieb Drogba in Europa, auch weil zwei Jahre später der Rest der Familie Rich­tung Frank­reich aus­wan­derte. Drogba Senior, der Ban­kier, hatte im von wirt­schaft­li­chen Pro­blemen geplagten Hei­mat­land die gut dotierte Stelle ver­loren. In Paris wagte er einen Neu­an­fang – als Zei­tungs­bote. Sein Sohn tin­gelte der­weil durch die fran­zö­si­sche Fuß­ball­pro­vinz, immer dem Onkel hin­terher. Über Dun­kerque, Vannes und Levall­lois lan­dete der zunächst als rechter Außen­ver­tei­diger aus­ge­bil­dete Drogba 1997 beim UC Le Mans. Er blieb, bis 2002. Zweite fran­zö­si­sche Liga. Mit 24 Jahren. Der Traum von Glanz und Gloria und Cham­pions League sieht anders aus.

Erst der Wechsel zum Erst­li­gisten EA Guingamp und ein­ein­halb ansehn­liche Spiel­zeiten beschleu­nigten die Kar­riere des Ivo­rers. Im Sommer 2003 löhnte Olym­pique Mar­seille, Drogbas Lieb­lings­klub, stolze sechs Mil­lionen Euro für den bis dahin außer­halb von Frank­reich unbe­kannten Stürmer. Der Rest ist Welt­kar­riere: Eine Saison, 35 Spiele, 18 Tore für OM, 2004 Wechsel für 37 Mil­lionen Euro Ablöse zum FC Chelsea, drei eng­li­sche Meis­ter­titel, vier FA-Cup-Siege, zwei­fa­cher Afrikas Fuß­baller des Jahres“.

Drogba, der Gewin­nertyp. Und auch wieder nicht. Die wich­tigsten Spiele seiner Kar­riere hat er bis­lang immer ver­loren, teil­weise dabei sogar in den ent­schei­denden Momenten ver­sagt. Schon 2004 verlor er mit OM das UEFA-Cup-Finale gegen den FC Valencia. 2006, im Finale des Afrika-Cups, vergab er in der regu­lären Spiel­zeit zunächst eine fan­tas­ti­sche Chance zum ent­schei­denden 1:0, im Elf­me­ter­schießen wurde sein Schuss gehalten, die Elfen­bein­küste verlor das End­spiel gegen Ägypten. 2008, im Cham­pions-League-Finale gegen Man­chester United, schaffte es der Chelsea-Mann erst gar nicht ins Elf­me­ter­schießen: Nach 118 Minuten ließ er sich vor den Augen des Schieds­rich­ters zu einer lächer­li­chen Ohr­feige gegen Uniteds Nemanja Vidic hin­reißen und wurde vom Platz geschickt. A pro­fes­sional sui­cide“, nannte das der eng­li­sche TV-Kom­men­tator. Pro­fes­sio­neller Selbst­mord. Didier, der Mann, dem man doch eigent­lich immer den Ball geben konnte, hatte sich aus der Ver­ant­wor­tung geohr­feigt. Und im Februar 2012, wieder im Afrika-Cup-Finale mit seinen Ele­fanten“ gegen Gast­geber Sambia, legte sich Drogba, der Ober­ele­fant, nach 69 Minuten den Ball zum Straf­stoß zurecht. Er stellte sich seiner Ver­ant­wor­tung. Er wollte das Tor schießen, den Titel gewinnen, auf den sein Land so lange schon war­tete. Und Didier? Schoss den Ball über das Tor. Sambia gewann anschlie­ßend. Im Elf­me­ter­schießen.

In der Natio­nal­mann­schaft, die bekann­ter­maßen den Spitz­namen Die Ele­fanten“ trägt, wird Drogba seit Jahren nur Das Pferd“ genannt. Die Her­lei­tung ergibt sich bei seinem wuch­tigen und kör­per­be­tonten Spiel von selbst. Dieses Pferd“ ist seit seinem Debüt 2002 längst mehr als nur ein aus­ge­zeich­neter Angreifer und Tor­jäger. Drogba ist Sym­bol­figur und Pro­jek­ti­ons­fläche für eine geschun­dene Nation, die sich von dem Mili­tär­putsch im Sep­tember 2002 nie wieder richtig erholt hat. Auch abseits wirkt Drogba größer, stärker und wich­tiger, als er es viel­leicht jemals sein wollte. Unver­gessen ist in seinem Hei­mat­land die Szene, wie er 2005, die Qua­li­fi­ka­tion für die Welt­meis­ter­schaft in Deutsch­land war gerade erst geschafft, aus der Mann­schafts­ka­bine ein Live-Inter­view gab. Ivo­re­rinnen und Ivorer“, begann Drogba seine kurze Rede an die Nation, wir haben heute bewiesen, dass alle Bewohner der Elfen­bein­küste zusam­men­leben, dass wir gemeinsam für ein Ziel spielen können, die WM-Qua­li­fi­ka­tion. Ich flehe euch auf meinen Knien an: Lasst nicht zu, dass unser rei­ches Land durch einen Krieg ver­wüstet wird! Ich bitte euch: Legt die Waffen nieder. Orga­ni­siert Wahlen und alles wird gut!“ Und dann sank er gemeinsam mit seinen Mit­spie­lern vor lau­fenden Kameras auf die Knie. Eine Willy-Brand-Geste, aus­ge­führt von Fuß­bal­lern, in einer Kabine, getränkt von Schweiß, Pathos, Hoff­nung. Ein Beweis dafür, wie viel Politik Fuß­ball wirk­lich sein kann.

Aber auch ein Beweis dafür, wie selbst große Gesten im Laufe der Zeit wir­kungslos ver­puffen können. Bis heute wird das einst so reiche Land von poli­ti­schen Unruhen erschüt­tert. Drogba, eigent­lich auf Voll­zeit als Fuß­baller, Wer­be­figur und Fami­li­en­vater aus­ge­bucht, bemüht sich wei­terhin um poli­ti­sche Sta­bi­lität in seiner Heimat. Seit 2010 ist er Mit­glied einer Kom­mis­sion, die sich für einen fried­li­chen Dialog in der Elfen­bein­küste ein­setzt. Die drei Mil­lionen Euro Jah­res­prämie seines Aus­rüs­ters fließen direkt in die eigene Hilfs­or­ga­ni­sa­tion. Das Magazin Time“ nahm ihn 2010 unter der Rubrik Helden“ in seine Liste der 100 wich­tigsten Men­schen der Welt auf. Didier“, sagt Drogbas Bruder Joel, der wie der Rest der Familie wieder in der Elfen­bein­küste lebt, ist wich­tiger als unser Prä­si­dent.“

Auf den breiten Schul­tern des 34-Jäh­rigen lastet eine enorme Ver­ant­wor­tung. Er soll Vor­bild sein, für seine Familie, sein Hei­mat­land, Fuß­ball­be­geis­terte auf der ganzen Welt. Er soll in der viel­leicht besten Liga der Welt an jedem Spieltag Top-Leis­tungen bringen. Er soll seine zer­rüt­tete Heimat einigen und ver­söhnen. Er soll sein Geld mit den ver­armten Lands­leuten teilen. Er soll seine Mann­schaft, den FC Chelsea London, am Samstag end­lich zum Cham­pions-League-Titel führen. Er soll wieder zwei Zen­ti­meter größer und elf Kilo schwerer sein, als er eigent­lich ist. Es gibt sehr viele Men­schen auf der Welt, die an weit weniger Druck ein­fach so kaputt­gehen.

Didier Drogba aber, das Pferd, der Mann mit so viel Kraft und Energie und einer Aura, der große Bruder seiner Mit­spieler, muss diesem Druck im End­spiel von Mün­chen gewachsen sein. Er muss wieder der Mann sein, an dessen Seite man furchtlos in den Krieg ziehen würde.

Vor allem aber muss er end­lich ein wich­tiges Spiel gewinnen. Dann wäre er wohl größer, als es sich selbst Owen Har­gre­aves jemals vor­stellen könnte.

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