Mit Heynckes war es am schnsten

November 2024 · 10 minute read

Her­mann Ger­land, Sie sind ein Kind des Ruhr­ge­biets. Mitt­ler­weile sind Sie aber, mal abge­sehen von einigen klei­neren Unter­bre­chungen, seit zwanzig Jahren in Süd­deutsch­land. Wird es Sie eines Tages wieder tief in den Westen ziehen?

Her­mann Ger­land: Eines ist klar: Meine Frau möchte gerne hier bleiben. 

Und was ist mit Ihnen?

Her­mann Ger­land: Ich möchte gerne zurück. Aber ich möchte eben auch so lange bei Bayern Mün­chen bleiben, wie es geht. Es ist ein­fach wun­derbar, hier zu arbeiten. Ich habe nach wie vor einen sehr guten Draht zu meinen ehe­ma­ligen Spie­lern. Die werden von mir aber genauso hart ange­fasst wie die Spieler aus der jet­zigen U23-Mann­schaft. 

Wie hart ist denn Ihre Gangart im Trai­ning?

Her­mann Ger­land: Da habe ich mich nicht geän­dert. Ich ver­lange etwas von meinen Spie­lern. Ich weiß, dass es unan­ge­nehm ist, wenn man immer wieder auf Fehler hin­ge­wiesen wird. Aber ich kann eben nicht ständig sagen: Haste gut gemacht, Junge.“ Wenn ich Flach­pässe sehen will und mein Spieler passt ihn halb­hoch oder braucht 35 Sekunden, bis er ihn ver­ar­beitet hat, muss man das klar anspre­chen. Denn auf diesem Niveau ist der Ball im Spiel schon dreimal weg. 

Ihre ehe­ma­ligen Schüler Holger Bad­s­tuber und Diego Con­tento loben Ihre Art in höchsten Tönen.

Her­mann Ger­land: Wenn ein Spieler zu mir kommt, kriegt er von mir den Rat, den ich auch meinem Kin­dern geben würde. Die Jungs arbeiten eng mit mir zusammen und die Eltern haben großes Ver­trauen in den FC Bayern. Dem will ich gerecht werden. 

Sie selbst haben drei Töchter. Ver­stehen die Ihre Liebe zum Fuß­ball?

Her­mann Ger­land: Meine Töchter haben andere Sport­arten für sich ent­deckt. Sie spielen Vol­ley­ball, Tennis und gehen Reiten. Sie sind alle drei sehr schlau, aber das haben sie von der Mutter. Zwei stu­dieren in Berlin, eine sogar in London. Mich stört es gewaltig, dass meine Frau und ich in Mün­chen sind und unsere Kinder in ganz Europa ver­streut leben. Man sieht sich kaum, kriegt nicht viel mit. Aber wir können es der­zeit nicht ändern. 

Glauben Sie, dass Sie auf­grund Ihrer boden­stän­digen Art in fuß­bal­le­ri­scher Hin­sicht unter­schätzt werden?

Her­mann Ger­land: Ich habe oft von den soge­nannten Fuß­ball­weisen gehört: Bad­s­tuber, das ist doch ein Innen­ver­tei­diger. Ist der Ger­land ver­rückt, ihn auf der Sechs spielen zu lassen?“ Genauso war es mit Mats Hum­mels. 

Ist er ver­rückt?

Für mich haben die Jungs das Fuß­ball­spielen aber erst auf der Sechs gelernt. Wir brau­chen doch heute Spieler, die aus der zen­tralen defen­siven Posi­tion das Spiel öffnen können. Spieler, die damit umgehen können, dass sie von überall atta­ckiert werden. Die nicht nervös werden, wenn ein Gegen­spieler nur zwei Meter von ihnen ent­fernt ist. Die wissen, wann man einen langen Ball schlagen muss. Die das Spiel erkennen. Das lernt man auf der Sechs. Das Kuriose ist, dass die Weisen, die einst die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen haben, hin­terher eben diese Spieler unbe­dingt kaufen wollen.

Haben Sie ein kon­kretes Bei­spiel?

Her­mann Ger­land: Ich glaube, der Holger Bad­s­tuber hatte 18 oder 19 Ver­eine aus dem bezahlten Fuß­ball, die ihn wollten. Das Kuriose daran: Sein Vater Her­mann und ich haben uns schon über ihn unter­halten, als der Junge noch gar nicht geboren war. Wir haben 1985 zusammen den Fuß­ball­lehr­gang gemacht. Seitdem waren wir Freunde. Seit Hol­gers Geburt hat er mir immer berichtet, wie sich sein Junge ent­wi­ckelt. Damals habe ich gesagt: Her­mann, wenn der so gut ist, kommt der zu mir. Denk daran!“ 

Wie ging es weiter?

Her­mann Ger­land: Er hat mich oft besucht und wir haben per­ma­nent tele­fo­niert. Eines Tages fragte ich ihn: Her­mann, wie ist dein Junge drauf?“ Er sagte: Glaub mir, der ist gut!“ Wenig später war Holger Bad­s­tuber dann Jugend­spieler beim FC Bayern.

Sie haben ja seit 1990 sehr viele Bayern-Trainer erlebt. Welche Zeit war die schönste?

Her­mann Ger­land: Bevor Louis van Gaal kam, war ich fünf Wochen mit Jupp Heyn­ckes bei den Profis. Jupp und mich ver­bindet einiges. Ich habe gegen ihn gespielt und war hin­terher auch als Trainer sein Gegner. 1990 hat Jupp mich dann hier beim FC Bayern emp­fohlen. Ich hab seine Kar­riere immer ver­folgt und ihm die Daumen gedrückt. Und als er vor­letzte Saison wieder zurückkam, war ich wieder sein Co-Trainer. Mit dem Jupp hatte ich eine sehr schöne Zeit.

Sie arbeiten auch sehr eng mit Louis van Gaal zusammen. Was macht er anders als alle anderen?

Her­mann Ger­land: Seit er hier ist, hat sich einiges ver­än­dert. Beim FC Bayern haben wir vor ihm immer gesagt: Mia san mia!“ Das heißt, die anderen sollen sich nach uns richten. Louis van Gaal hat eine ganz andere Stra­tegie: Er richtet sich nach jedem Gegner. Der weiß über jeden Gegner alles. Es ist unvor­stellbar, wie wir uns vor­be­reiten. Wie die Spieler beob­achtet und ana­ly­siert werden und unsere Jungs dann auf jede Klei­nig­keit hin­ge­wiesen werden. Das ist sen­sa­tio­nell. Ich bin von seiner Arbeit über­zeugt, denn ich hab noch nie jemanden gesehen, der es den Spie­lern so ein­fach macht. Weil er ein­fach erklärt, was in wel­cher Situa­tion zu tun ist. Es wird in jedem Trai­ning gelehrt, warum wir das gemacht haben und jenes eben nicht.

Wie gehen die Spieler damit um?

Her­mann Ger­land: Louis van Gaal ist sehr direkt. Er spricht alles klar an, behan­delt alle gleich. Genauso wie er mit Bas­tian Schwein­steiger oder Arjen Robben umgeht, so geht er auch mit Diego Con­tento um. Er sagt allen Spie­lern, wenn sie sich nicht so ver­halten, wie die Situa­tion es erfor­derte. Klipp und klar: So! Das haben wir nicht so ver­ein­bart. In dieser Situa­tion hät­test du das und das machen sollen.“ Dann weiß, was er auf dem Platz zu machen hat. Das habe ich in der Form noch nie gesehen. 

Dann müssen Sie es ja wissen: Ist Fuß­ball eigent­lich ganz ein­fach?

Her­mann Ger­land: Wenn man sagt, man muss hinten nur ein Tor ver­hin­dern und vorne eins schießen, ist es ein­fach. Aber man muss elf Spieler zu einer Mann­schaft zusam­men­fügen. Das ist ein rie­siges Mosaik aus vielen kleinen Stein­chen. Und dann muss jeder Spieler wissen, was jeder Ein­zelne zu tun hat. Wo muss ich helfen? Und wo muss der andere auch mir helfen? Das macht es dann schon wieder sehr kom­plex. 

Wird heut­zu­tage viel­leicht ein­fach zu viel über Taktik geredet?

Her­mann Ger­land: Am Ende kommt es auf die Qua­lität der Spieler an und darauf, dass man natür­lich ein Wir-Gefühl haben muss, um über die nor­malen Leis­tungen hin­aus­gehen zu können. Jeder muss sich sagen: Ich bin zwar müde, aber ich lege mal noch eine Schippe drauf.“

Anmer­kung: Das Inter­view wurde am 23. Sep­tember 2010 geführt. Die unge­kürzte Ver­sion („Her­mann Ger­land unplugged“) ist auf der DVD Haupt­sache Fuß­ball – Junge Profis auf dem Weg ins Spiel“ ent­halten (ab 25. März im Handel). Wei­tere Infos auf:www​.haupt​sa​chefuss​ball​-film​.de.

Haupt­sache Fuß­ball“ läuft auch im Pro­gramm des wun­der­baren Fuß­ball­film­fes­tival 11mm, das vom 25. März bis zum 30. März in Berlin statt­finden wird .

Hier geht’s zum ersten Teil des Inter­views »>

Eine ganz per­sön­liche Frage: Was bedeu­tete Fuß­ball für Sie in Ihrer Kind­heit?

Her­mann Ger­land: Für mich war Fuß­ball alles. Ich war immer sehr wild, diese Aggres­si­vität steckt bis heute in mir. Beim Fuß­ball konnte ich mich draußen aus­toben, meine Kalo­rien ver­brennen. Ich war immer sehr mann­schafts­dien­lich und habe geholfen, wo ich konnte – auf dem Platz und außer­halb. Für mich ist das nach wie vor etwas Wun­der­schönes.

Glauben Sie, Sie würden es heute noch mal zum Profi schaffen?

Her­mann Ger­land: Ich denke, wenn ich Louis van Gaal als Trainer gehabt hätte, wäre ich ein ganz großer Ver­tei­diger geworden.

Wo hätte er Sie denn ent­schei­dend ver­bes­sern können?

Her­mann Ger­land: Was hat man denn früher bei­gebracht bekommen? Der Trainer hat dir gesagt: Du spielst heute hier auf der rechten Seite, heute spielst du gegen Willi Lip­pens, morgen spielst du gegen Jupp Heyn­ckes, über­morgen gegen Erwin Kre­mers oder Schorsch Vol­kert!“ Das war es. Und das war das Pro­blem. Heute weiß doch jeder Spieler, was der Gegner kann: Ist der schnell? Wie schnell? Ist er Rechtsfuß oder ein Linker? 

Früher blieb Ihnen nur das Video­stu­dium in der Sport­schau.

Her­mann Ger­land: Da wurden die Spiele doch nur zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde gezeigt, aber meis­tens nur Bayern Mün­chen. In den Sieb­zi­gern kamen noch Köln, Ham­burg und Glad­bach. Mann­schaften wie Bochum sah man doch nur, wenn es gegen die großen Klubs ging.

War der Job des Fuß­ball-Profis zu Ihrer Zeit schöner?

Her­mann Ger­land: Für mich war das früher eher ein Hobby, heute ist es ein echter Beruf. Wenn ein Thomas Müller oder ein Holger Bad­s­tuber drei oder vier Jahre dabei sind, brau­chen die sich um ihre Zukunft keine Sorgen mehr zu machen. Wenn sie normal bleiben! Dann haben sie schon so viel Geld, dass sie bis zum Lebens­ende damit aus­kommen können. Das war bei uns nicht der Fall. Ich kenne viele, die mit mir zusammen gespielt haben und die in große finan­zi­elle Not geraten sind. 

Leis­tungs­zen­tren scheinen das All­heil­mittel für eine her­vor­ra­gend aus­ge­bil­dete Jugend in den deut­schen Ver­einen zu sein. Schätzen Sie das auch so ein?

Her­mann Ger­land: Das kann ich nicht sagen, weil ich mich damit nicht so befasse. Ich bin auf dem Platz, das ist mein Metier. Ich weiß nur, dass wir da ein Kopf­ball­pendel haben und ich der Ein­zige bin, der da dran geht. Es ist zwar Pflicht, dass jedes Leis­tungs­zen­trum ein Kopf­ball­pendel hat, aber was nützt es, wenn man eins hat und dann geht keiner dran?

Welche neuen Anstöße konnte Van Gaal in seiner Amts­zeit im Jugend­be­reich anbringen?

Her­mann Ger­land: Ich habe die ersten sechs Wochen bei den Profis genau beob­achtet und gesehen, wie wir uns ver­bes­sert haben, vor allem im Pass­spiel. Dann bin ich zu unseren Jugend­trai­nern gegangen und habe gesagt: Pass mal auf, fol­gende Übungen find ich genial. Die nehmen wir in unser Trai­nings­pro­gramm auf. Ich zeig sie euch, gerne auch mehr­fach.“ Dann haben wir lange gefeilt, pro­biert und jeden Pass ana­ly­siert. Stun­den­lang – für eine Übung! Diese Akribie gab es vorher sicher nicht.

Viele Experten sagen, dass das Spiel, zumin­dest was die tech­ni­sche und phy­si­sche Ent­wick­lung der Spieler betrifft, heute an einem End­punkt ange­kommen sei. Glauben Sie daran?

Her­mann Ger­land: Ich habe mal mit Arjen Robben über die Unter­schiede geredet. Er war der Mei­nung, dass wir früher alle Zeit­lu­pen­fuß­ball gespielt haben. Aber ich bin damals die 100 Meter auch um die elf Sekunden gelaufen und 1000 Meter in drei Minuten. Im Spiel ging es pro Halb­zeit min­des­tens zehn Mal von hinten nach vorne – im Sprint. Natür­lich war das Spiel ganz anders als heute, aber wir konnten auch laufen. Wir haben nur nicht so viel trai­niert. Wir hatten keine Ahnung von rich­tiger Ernäh­rung, eine ganz andere medi­zi­ni­sche Betreuung. Nach einem anstren­genden Trai­ning bei 40°C im Schatten durfte man ein Glas Wasser trinken. 0,2 Liter! Damit hat man seinen Mund aus­ge­spült, also im End­ef­fekt viel­leicht einen Schluck Wasser getrunken. Und trotzdem hatte man ein schlechtes Gewissen, weil man dachte, man könnte jetzt nicht mehr laufen. 

Das grenzte an Kör­per­ver­let­zung.

Her­mann Ger­land: Heute kann man sich das nicht mehr vor­stellen. Nach zehn Minuten Trai­ning wird schon Wasser getrunken. Das ganze Thema Rege­ne­ra­tion: Wir haben heute vier Mas­seure und was weiß ich wie viele Bänke, wir haben Ärzte die per­ma­nent hier sind. Früher hatten wir eine Bank und einen Mas­seur – der war auch nur halbe Tage da. Daran sieht man, wie sich alles ver­än­dert hat. Aber das ist der rich­tige Weg.

Bli­cken wir am Ende in die Ama­teur­mann­schaft des FC Bayern: Gibt im Nach­wuchs Spieler, die man an die erste Mann­schaft her­an­führen kann?

Her­mann Ger­land: Ich denke, das wird schwierig. Momentan traue ich mich noch nicht zu sagen, dieser oder jener wird es schaffen. Viele sind noch zu jung. Und die, die ich momentan habe, die sind nicht gut genug. Wie soll ich es sagen? Die 84er waren ein super Jahr­gang: Lell, Tro­chowski, Rensing, Schwein­steiger – das war ein Para­de­jahr­gang. 1985 war dann Andreas Ottl und letzte Saison kamen die ganz Jungen: 1989 Bad­s­tuber, 1990 Con­tento und Müller. Mal kommen drei, vier auf einmal und mal kommt zwei Jahre lang gar nichts. Das pas­siert. 

Anmer­kung: Das Inter­view wurde am 23. Sep­tember 2010 geführt. Die unge­kürzte Ver­sion („Her­mann Ger­land unplugged“) ist auf der DVD Haupt­sache Fuß­ball – Junge Profis auf dem Weg ins Spiel“ ent­halten (ab 25. März im Handel). Wei­tere Infos auf:www​.haupt​sa​chefuss​ball​-film​.de.

Haupt­sache Fuß­ball“ läuft auch im Pro­gramm des wun­der­baren Fuß­ball­film­fes­tival 11mm, das vom 25. März bis zum 30. März in Berlin statt­finden wird .

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